Titelfolie meines Inputs |
Ein (nicht mehr sooo) junger Mann mit (gelinde gesagt)
schütterem Haar und leichtem Bauchansatz spricht weinerlich über seine
Schreibprobleme. Oder: Ein dynamischer Wissenschaftler trägt leidenschaftlich
seinen methodischen Ansatz vor und verweist geistreich und mit Witz auf die
trügerischen Stolpersteine beim Abfassen dichter Beschreibungen. Ich kann nicht
sagen, wie mein kleiner Input auf dem diesjährigen Methodenworkshop des AKMN (Leipzig, 30./31.03.2017),
bei den Zuhörenden tatsächlich angekommen ist. Die zweite Deutung, so oder so
ähnlich, spiegelt natürlich mein Idealbild. Vermutlich (oder sollte ich
schreiben „hoffentlich“?) liegt die Realität irgendwo zwischen beidem.
Wahrnehmung und wie sie methodisch greifbar und
generalisierbar wird, d.h. der Sprung vom Subjektiven zum Intersubjektiven
(Stichwort: ForscherIn als Instrument), war einer von mehreren roten Fäden, die
sich durch den insgesamt sehr entspannten und angeregten Workshop zur
Materialität von Religion schlängelten. Dabei waren die Vorträge selbst, dank
eines Smartboards, auffallend materiell strukturiert – von elegant streichend,
über selbstsicher aneignend bis hin zu „Gefangenen des Zooms“. Inwiefern der
Einsatz „smarter“ Technik Vortragskultur verändert, wäre hier eine spannende
Fragestellung, die tief in den Bereich des Materiellen hineingreift. Leider hat
das nichts mit Religion zu tun (soviel ich weiß).
Das Smartboard jedenfalls diente uns als Tor zur Welt. Wir
folgten Ku, dem Kriegsgott ehrfürchtig von Hawaii nach Göttingen, zählten
Dachreiter chinesischer Tempel in Sichuan, fielen (absichtlich nicht) in Trance
während eines alevitischen semah, reisten
unter Schlafmangel mit neun Schlangenschwestern durch die indische Provinz und
besuchten ein beschauliches Bergdorf in der Schweiz, das sich selbst Disney
nicht hätte besser ausmalen können. Der AKMN-Methodenworkshop in Leipzig war
wie eine lehrreiche Traumreise.
Was habe ich gelernt? Nun, es gibt eine Reihe von sehr
hilfreichen Anregungen, die ich für die Diss. mitgenommen habe. Drei davon
möchte ich hier kurz zusammentragen:
Theoretischer Einzugsbereich
Eine der von der Workshop-Leitung vorgegebenen
Vergleichsfragen zielte auf die Identifikation des materiellen Gegenstands. In
meinem Fall betrifft das u.a. „Gebäude“ und „Räume/Orte“, „Objekte“, „Körper“,
„Interaktion/Performanz“ und so etwas wie „Atmosphäre“ bzw. „sinnliche
Wahrnehmung des Raums/der Situation“. An diese Konzepte schließen sich eine
ganze Reihe theoretischer Perspektiven an, die in ihrer Fülle (so meine ich
jetzt) nicht von einer einzigen Arbeit getragen werden können.
Bestärkt fühle ich mich darin, meine
interaktionstheoretische Basis (Goffman) beizubehalten und diese durch Anleihen
aus den unterschiedlichen Ansätzen anzureichern. Diese sollen vor allem aus der
Raumtheorie sowie aus der Religionsästhetik/material culture kommen.
Sprung ins Intersubjektive
Mein dringlichstes Anliegen auf diesem Workshop war es,
meine Befürchtungen eines zu starken Subjektivismus (der, so verstehe ich
Geertz, zu einem gewissen Grad angelegt ist) in meiner Arbeit zum Ausdruck zu
bringen und Anregungen für eine „Eindämmung“ zu bekommen. Hier sehe ich jetzt
klarer.
Wenn eine gute Analyse wie ein gut gespanntes Sonnensegel
ist, dann flackert meines (mit der Aufschrift „dichte Beschreibung“) zunächst fröhlich
im Frühlingswind herum. Vier Anker, mit denen es festgezurrt werden soll und
dann stabil hängt, konnte ich nun dank vieler guter Hinweise ausmachen und etwas
näher bestimmen:
Anker 1 – Selbstreflexion: Die ist ja ohnehin immer geboten
und soll durch analytische und persönliche Memos (Knoblauch), durch periodisch
angelegte Selbstbeschau (feste Termine mit dem einzigen Ziel, sich selbst in
Frage zu stellen?) sowie kritische Lektüre der eigenen Produktionen
gewährleistet werden. Die Selbstreflexion allein schützt jedoch nicht vor
blinden Flecken, Selbstgefallen und übertriebener Selbstkritik.
Anker 2 – Methodenpluralismus: Aus diesem Grund wird bei der
Erhebung ein methodenpluralistischer Ansatz verfolgt, mit dem die subjektiven
und intersubjektiven Anteile stärker in Beziehung gesetzt werden können.
Anker 3 – Analysewerkstätten: Auch für die Analyse ist ein
pluralistischer Ansatz geboten. Ein wichtiger Hinweis war hier die übliche
Praxis sozialwissenschaftlicher Analysewerkstätten, in denen das Datenmaterial
mit vielen Augen und aus deutlich mehr Perspektiven durchleuchtet werden kann.
Anker 4 – Feldspiegelung: Schließlich kann für die Analyse
und auch das tatsächliche Textergebnis eine Rückkopplung ans Feld sinnvoll
sein. Was denken diejenigen, über die ich schreibe, über meinen Text? Hier
liegen womöglich die größten Überraschungen (bei vollem Bewusstsein für den
verständlichen Wunsch nach positivistischer Selbstdarstellung).
Dichte Beschreibung als Bricolage und das Verhältnis zum
systematischen Fallvergleich
Ich denke, ich konnte in meinem Input deutlich machen, dass die dichte Beschreibung eine sehr nützliche
Analysemethode sein kann. Auch als
Darstellungsform hat sie einigen Zuspruch erhalten. Hier erhielt ich den
Hinweis, dass ein Radiofeature eine passable Vorlage für das Zusammenspiel
verschiedener Deutungsschichten (Bricolage aus Erzählergedanken, O-Ton, Stimmen aus dem Feld…) sein
könnte. Dies würde für die dichten Beschreibungen beispielsweise bedeuten
Selbstbeschreibungen, Feldnotizen und auch Interviewmaterial noch etwas stärker
mit einzubeziehen.
Über zwei Anregungen muss ich noch etwas nachdenken. Eine war,
dass es doch vielleicht gut wäre, erst den systematischen Fallvergleich
anzugehen und in der Arbeit zu präsentieren und erst im Anschluss – d.h. vor
dem Hintergrund der durch die theoretisch sensibilisierte Analyse aufgedeckte
Systematik – dichte Beschreibungen zu den Fällen zu erstellen. Hier hatte ich
spontan die Befürchtung, dass dann im Anschluss durch eine zu starke
theoretische Routine das offene Moment der dichten Beschreibung verloren geht.
Eine andere Stimme erhob den Einwand, dass Geertz möglicherweise
ein großes Problem damit hätte, dichte Beschreibungen neben einem
systematischeren Analyseansatz in einer Arbeit stehen zu sehen. Darüber denke
ich seit zwei Zugfahrten nach. Es könnte sein. Andererseits betont Geertz auch
die grundsätzliche Unabgeschlossenheit seiner Beschreibungen, die immer als
Produkt des Autors zu verstehen sind. Stephan Wolff ergänzt, dass Geertz mit
seinen Beschreibungen eigentlich mehr Fragen produziere als Antworten anbiete,
d.h. er verbreitert durch dichte Beschreibungen das Problemfeld, anstatt
Komplexität zu reduzieren. Vielleicht lässt sich das so zusammenbringen: In den
dichten Beschreibungen öffne ich meinen LeserInnen unter Maßgabe meines Fokus
(Wechselwirkung von Raum und Dialoghandeln) das Feld und biete eine Schichtung
„bedeutungsvoller Strukturen“ an. Diese Gebilde sollen sowohl das Feld
zugänglich, als auch Möglichkeiten der Verbindung von Raum und Religionsdialog
„spürbar“ machen. Gleichzeitig sind sie jedoch so offen (Stichwort
unabgeschlossen), dass mehrere Interpretationsmöglichkeiten (auch: Lesarten)
bestehen. Der systematische Fallvergleich, den ich an die dichten Beschreibungen
anschließen möchte, fängt die weite (auch assoziative) Öffnung des Feldes
wieder ein und kondensiert sich zu meiner konkreten Lesart. Die Spannung
zwischen beiden Ansätzen scheint im Kern darin zu liegen, dass Ansatz a) mit
seinem relativistischen Ansatz das Vorhandensein „einer einzigen“ Lesart
ablehnt, während Ansatz b) eine methodisch kontrollierte Systematik (d.h.
„eine“ Lesart) anbietet. Aber ist das ein Argument gegen oder für dieses
Arrangement?
Fazit
Insgesamt ein ertragreicher und unterhaltsamer Workshop. Nur
Fotos hat wieder keine(r) gemacht.
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