Mittwoch, 1. Februar 2017

Vom Feld zum Text - Dichte Beschreibung und der Clinch mit dem Wort

Es ist einige Zeit seit dem letzten Post vergangen, was einerseits an der dazwischen geschobenen Elternzeit liegt und andererseits an dem müßigen K(r)ampf aus meinen Beobachtungen ansprechende und erhellende Dichte Beschreibungen zu meinen Fällen zu produzieren. Die Formulierungsscharmützel werden regelmäßig durch wahnhaftes und so gar nicht systematisches Wühlen in einem Wust aus Methoden- und Theorieliteratur unterbrochen, die ich messihaft anhäufe. Aber ich bin dennoch guter Dinge, denn das wenige Seiten umfassende Kleinod, das Anfang diesen Jahres entstanden ist, ist zumindest diskussionswürdig. Und ist das nicht das eigentliche Ziel wissenschaftlichen Schreibens?
Wie im ersten Post auf diesem Blog schonmal angeklungen ist, beschäftigt mich das Fehlen einer Anleitung zum Abfassen Dichter Beschreibungen, denn was das Praktische angeht, ist Geertz, trotz seiner blumigen Texte, auffallend wortlos. Vielleicht gibt es gar keine Methode? Jedenfalls hat sich mein Verständnis vom Verfassen solcher Beschreibungen auf Folgendes zugespitzt: Dichte Beschreibungen sind deutende Nacherzählungen sozialer Abläufe, wobei in der Produktion des Textes das Ereignis stark subjektiv durch den Autor konstruiert wird. Klassisches Beispiel für die Unterscheidung von dünner und dichter Beschreibung, das überall (und so auch hier) wiedergegeben wird, ist der Unterschied zwischen einer Handlung (Zucken mit dem Auge) und der (mutmaßlichen) Bedeutung dieser Handlung (Zwinkern). Im Ergebnis findet sich eine gewollte und tendenziöse Überzeichnung von Situationen, die, so scheint es, nur in der steten (Selbst-)Reflexion des Autors methodisch kontrolliert wird. Das tolle (gemeint ist an dieser Stelle sowohl super, als auch verrückt) daran: Ich produziere mit meiner Sicht auf die Dinge ein Zeugnis (Stichwort das Ereignis dem Augenblick entreißen), das wiederum bearbeitet und (auch anders) gedeutet werden kann - ergo: dieser Verstehensprozess ist ("prinzipiell") niemals abgeschlossen.
Passend und gleichzeitig verwirrend fand ich beim gestrigen Wühlen einen Vergleich zum Roman. Der einzige Unterschied zwischen beidem, so Müller-Funk, ist der, dass "der Roman Signale enthält, dass die Ereignisse so nicht stattgefunden haben [...], während der ethnographische Text sie als wirklich unterstellt." (248) Die Formulierung "unterstellt" verwiest darauf, dass die Texte zwar so tun als ob, aber nicht tatsächlich Wirklichkeit abbilden.
Ok. Wie produziere ich bitte einen Text, der so tut als würde er Wirklichkeit abbilden im steten methodologisch geforderten Bewusstsein dafür, dass er meine Kopfgeburt ist? Eine Frage zum Kopfzerbrechen und vermutlich nur durch schreibende Praxis zu lösen. 

Weihnachtliche Hintergrundszene für interreligiöse Silvesterfeier, M. Kalender, Dezember 2016
(sorry, miese Bildqualität)
Ende 2016, genauer gesagt am letzten Tag des Jahres, besuchte ich eine "interreligiöse Silvesterfeier", die seit dem (letzten) Jahrtausendwechsel in der Christuskirche in Hamburg-Eimsbüttel veranstaltet wird. Eine wirklich spannende Veranstaltung, bei der VertreterInnen aus dem Judentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus und (als Gastgeber) natürlich auch aus dem Christentum zusammenkommen. Die Veranstaltung würde ich, gerade auch im Vergleich zu anderen interreligiösen Aktivitäten in der Stadt, mit ca. 150 Personen als sehr gut besucht beschreiben. Mein Ziel war es, direkt im Anschluss an die Veranstaltung eine Dichte Beschreibung zu entwerfen, die meine Deutung der Aktivität in den Mittelpunkt stellt und - das ist das eigentliche Ziel - Wechselwirkungen zwischen der Aktivität und dem (Kirchen-)Raum offenlegt. Dafür boten sich auch etliche Gegebenheiten an. Beispiele in Kürze: ein Hindupriester tanzte bei einem musikalischen Beitrag der Krishna-Tempel-Musikgruppe auf den Stufen zum Altar und überlagerte die (krass) weihnachtliche Altarszene mit "exotischem Flair", auf einem Saxophon gespielte "orientalische Klänge" steigen das Kirchengewölbe empor und lassen den aufschauenden Betrachter eine Kuppel erwarten, ein Pastor rekurriert auf die Bedrohungen unserer Tage, unterdessen vor der Kirche Böller explodieren und während einer kleinen Meditationsübung bringt ein buddhistischer Vertreter die Kirchenmauern imaginär zum Einsturz. Es ist wohl offensichtlich: Hier gibt es was zu holen.

Die kleine Dichte Beschreibung werde ich auf dem baldigen AKMN-Methodenworkshop (Leipzig, 30./31.03.2017) zur Diskussion stellen und hoffe auf Anregungen in alle Richtungen. Zum einen geht es mir natürlich um methodische Fragen: Ist das Schriftstück (in seiner ersten Ausformulierung) überzeugend? Bringt das was? Ist es zu überzeichnet (ich vergleiche die Böller mit Bombenangriffen und den Kirchenraum mit einem Bunker)? Was fehlt? Ist die Perspektive überhaupt richtig gewählt? Oder: Führt das alles zu nichts?
Andererseits würde ich auch gerne über triangulative (d.h. methodologische) Aspekte sprechen: Wie lässt sich die (tatsächlich ja angelegte) Subjektivität einfangen und seriös in (m)ein Design einbetten? Ich beabsichtige auf der zweiten Analyseschiene einen systematischen Fallvergleich auf (etwas objektiverer) Methodenbasis. Wie passt das zusammen? Ist es womöglich inkonsistent?
Sollte einer oder eine der sich auf diese Seite verirrende/n LeserIn einen (gerne auch assoziativen) Tipp oder eine Anregung haben, dann freue ich mich sehr über Kommentare!
Bis dahin (und darüber hinaus) ist der Clinch noch nicht vorbei und ist ja auch "prinzipiell" unabgeschlossen.

Literatur
Müller-Funk, Wolfgang (2010) "Clifford Geertz: Dichte Beschreibung". In: Ders., Kulturtheorie. Einführung in Schlüsseltexte der Kulturwissenschaften. Tübingen, Basel: A. Francke Verlag. S. 237-257.

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